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Das bedeutet zu lieben!


23.01.2018

Ich habe eine Geschichte gelesen, die einen starken Eindruck auf mich hinterlassen hat.

So wie ich immer alles schöne und nützliche mit euch teile, so möchte ich dies nun ebenfalls mit euch teilen. Und, wie immer, hoffe ich, dass allen zwischen den Zeilen sich ein sanfter Gedanke enthüllt.

„Einige Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg lebte ein wunderbares Ehepaar. Sie liebten sich sehr. Der Ehemann, bemühte sich, wann immer er das konnte, der Frau seine Liebe zu verkünden. Und sie war schön, empfindsam und von zarter Gesundheit.

Aber der Krieg begann, und der Ehemann musste an die Front. Dort erlebte er viele Versuchungen, und wie durch ein Wunder blieb er am Leben. Und jeden Tag betete er zu Gott, dass er ihm helfe zu überleben, damit er nach Hause zurückkehre könne, zur Frau, die er liebte. Der Gedanke, dass er sie wieder umarmen würde, wärmte seine Seele und half ihm Hunger, Kälte und die Wunden zu überstehen.

Als der Krieg zu Ende war, rannte er, glücklich wie nie in seinem Leben, nach Hause, wie von Flügeln getragen. Und schon war das Dorf zu sehen, und ihm entgegen kam ein Freund! Als sich die Freude darüber, dass sie sich lebend und unversehrt wiedergesehen hatten, gelegt hatte, begann der Freund ihn zu trösten, während er über eine Versuchung sprach, die ihn ereilt hatte.

- Über was für eine Versuchung sprichst Du? – fragte der Mann, dessen Herz fast stehen blieb.

- Was, Du weißt von nichts? Deine Frau war sehr krank. Sie hat überlebt, natürlich, überlebt, nur ihr Gesicht ist jetzt verzerrt, - antwortete der Freund mitfühlend.

Der Ehemann, wie erschlagen, fiel zu Boden und weinte bitterlich.

Am Abend erreichte er sein Haus. Die Frau, als sie ihn sah, konnte sich nicht genug freuen und dankte nur Gott für das Wunder, dass er heil nach Hause gekommen war! Danach setzten sie sich an den Tisch…Und plötzlich begriff sie, dass ihr Ehemann, ihr geliebter, im Krieg sein Augenlicht verloren hatte! Sie dachte er wäre von den Folgen der Verwundung erblindet und sie befragte ihn nichts mehr darüber, um ihm keine zusätzlichen Leiden zuzuführen. Sie begann, wie früher, sich um ihn zu kümmern, wie es einer Frau, die liebt gebührt, und sie lebten noch 15 Jahre glücklich zusammen.

Nach diesen 15 Jahren des völligen Glücks, aber auch der heimlichen Leiden, da sie unheilbar krank war, übergab die Frau ihre Seele Gott. Und der Ehemann, der sie geliebt hat, verschloss ihre Augen…und öffnete seine! All die Jahre verstellte er sich blind, um ihre Leiden nicht zu vergrößern“.

Und genau das bedeutet zu lieben! Selbst zu erblinden, um den anderen nicht zu verletzen.

Und für uns wäre es oft besser, die Augen zu verschließen, denn unser Blick kann oft schwerwiegender sein als wir denken, und demjenigen kann es noch schlechter ergehen wegen dieses vorwurfsvollen Blickes. Viele Menschen verlieren die Kraft mit sich oder den Versuchungen zu kämpfen, durch die sie gehen, nur weil wir sie so angeschaut haben, wie es nicht sein sollte! Wegen uns kann ihr Leben noch schwieriger werden, weil wir nicht sehen, wie sehr sie in ihrer Seele leiden, versteckt im Körper eines Invaliden, oder ihrer Unschönheit, oder wegen etwas anderem Hässlichen, oder eines Lasters das sie beherrscht, oder einer Depression, mit der sie zu kämpfen haben…

Um aber vor diesen Dingen die Augen verschließen zu können, müssen wir lieben! Wir können die fremde Hässlichkeit nicht übersehen, wenn wir gleichgültig sind, oder stumpf, oder wenn wir jemanden marginalisieren wollen, sondern nur indem wir Empfindsamkeit, Zartheit und Großmut zeigen.
Ist die Liebe notwendig damit wir uns einfach und natürlich verhalten? Offensichtlich, ja! Es ist notwendig, dass wir lieben, damit der andere Mensch sich nicht verletzt und gerügt fühlt, um nicht der Grund für sein Leiden zu werden, sondern im Gegenteil, dass wir ihm in seinem Schmerz helfen und diesen so viel wir können lindern.

Und macht dies nicht Christus in unserem Leben? Mir scheint es, dass Er uns mit verschlossenen Augen betrachtet, denn sonst könnten wir Ihn nicht ansehen, mit dem Gefühl der Schuld vor Ihm.

Und noch etwas dachte ich: wie selten hören wir heute solche Ereignisse wie dieses! Die Liebe scheint erkaltet zu sein, als hätten wir keine Kraft mehr zu lieben, oder sind wir einfach nur zu egoistisch geworden?

Früher waren die Beziehungen zwischen denen, die sich liebten, viel beständiger, schöner, glücklicher. Früher gab es die Schönheit und die heilige Liebe zweier Menschen. Eine einfache Geste, eine Blume, ein Blick, schon wurden sie zur Quelle der Freude, des Herzerbebens und der Freudentränen. Und heute…Man hört nurmehr von Scheidungen und Trauer, Skandalen und Beschuldigungen.

Alle beklagen sich über jemanden. Alle beschuldigen jemanden. Sehr wenige sind bereit aus sich die Schuld und Verantwortung für die Trennung zu nehmen. Vielleicht können wir nicht mehr lieben? Wir können nicht mehr verzeihen? Hat die Liebe für uns keine Bedeutung mehr? Oder sind wir in der Liebe zu uns selbst so verhaftet, dass der Nächste für uns zum Ballast wird?

Wir alle wissen, dass die Beziehungen, das Familienleben, nur dann funktionieren, wenn der eine mit seiner Liebe das Glück und die Schönheit des Lebens des anderen vergrößert. Seit jeher ist es bekannt, „Liebe ist ein Feuer, aber es brennt nur wenn man Holz hineingibt“, und dann ist es möglich unaufhörlich zu lieben.

In keinem Buch steht es geschrieben, noch hat es jemand gesagt, dass lieben bedeutet nur Glück zu spüren; nein, lieben heißt, Gutes und Glück dem anderen zu wünschen. Das bedeutet, sich von seinem Egoismus und Stolz loszusagen, demütig zu werden, damit Friede herrscht, mit Hoffnung zu beten, mit Kleinigkeiten die man besitzt zufrieden zu sein, und dafür dankbar zu sein, darüber glücklich zu sein, dass der andere glücklich ist, und im Leben erhaben zu werden…

Zu lieben – darin besteht die Weisheit des Lebens. Zu lieben bedeutet ein weises Herz zu haben. Zu lieben heißt über Wissen zu verfügen, das heilt, und nicht tötet, das Trost spendet, und nicht zerstört! Vielleicht werden einige, die diese Zeilen lesen, anderer Meinung sein, weil sie denken, dass es mir nicht zusteht über Liebesbeziehungen zu schreiben, denn ich weiß nicht „wie schwer das ist“. Vielleicht haben sie recht, aber, wie jeder Priester, so leide ich mehr als ihr euch vorstellen könnt, wenn ich ein gebrochenes Herz sehe, Tränen auf dem wunderschönen Gesicht des anderen. Denn die Liebe kann das schwer mitanschauen…

Archimandrit Siluan (Visan)

Aus dem Russischen: Mirjana Miletic
Aus dem Serbischen: Mirko Kolundzic
Quelle: „Православие.ру“